Detektion unerwünschter Arzneimittelereignisse – Transparenzsteigerung in der Versorgungsforschung

Ein wesentliches Ziel der Versorgungsforschung besteht in der Evaluation der Wirksamkeit von Versorgungsprozessen unter Alltagsbedingungen. Arzneimittel sind eines der wichtigsten Instrumente der medizinischen Versorgung und stellen die Versorgungsforschung in diesem Zusammenhang vor eine immense Herausforderung: Jedes Medikament kann potenziell „Unerwünschte Arzneimittelereignisse" (UAE) hervorrufen. Durch UAE ergeben sich jährliche Kosten von über 400 Mio. Euro, die das deutsche Gesundheitssystem zu tragen hat. Darüber hinaus wird oftmals ein Zusammenhang zwischen Medikament und UAE im Versorgungsprozess übersehen, sodass die tatsächlich durch UAE entstehenden Kosten infolge von Fehldiagnosen und falschen Folgebehandlungen weitaus höher sind. Derzeit mangelt es allerdings an geeigneten Unterstützungssystemen für die UAE Detektion im Rahmen der Pharmakovigilanz und Arzneimitteltherapiesicherheit. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass insgesamt mehr Menschen durch UAE sterben als im Straßenverkehr, wird der Handlungsbedarf für die Versorgungsforschung unterstrichen.

Aus informationstechnischer Perspektive ist hingegen die Tendenz zu beobachten, dass Diagnosen, Medikationen und weitere klinische Daten zunehmend digital in der „elektronischen Patientenakte"(EPA) erfasst werden. Die Datenqualität in der EPA ist nutzungsabhängig. Die Spannweite reicht dabei von rein administrativen Abrechnungsdaten bis hin zu vollständigen, lebenslangen Krankheitsverläufen, was derzeit in den meisten Ländern lediglich eine Vision und diskutiert bleibt. Trotzdem verbirgt sich ein immenses Potenzial in den EPA, das bislang unzureichend ausgeschöpft wird. Durch eine aktive Überwachung, Integration und übergreifende Analyse mehrerer EPA könnten Ärzte bei der Identifikation von UAE proaktiv unterstützt werden. Während zwar bereits interdisziplinär Ansätze zur UAE Detektion auf klinischen Patientendaten erforscht wurden, unterliegen existierende Arbeiten primär dem Defizit, spezifisch auf Basis der zugrunde liegenden Datengrundlage konzipiert worden zu sein. Hier eröffnet sich die Forschungsfrage, wie EPA zur Identifizierung von UAE genutzt werden können, um automatisiert und flexibel UAE zu detektieren und die Verdachtsfälle anschließend in geeigneter Form einer medizinischen Fachkraft zu präsentieren.

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird ein Prototyp implementiert und evaluiert, der sowohl publizierte als auch neue Konzepte zur UAE Detektion und Präsentation vereint. Gegenüber bestehenden Ansätzen wird im Rahmen der UAE Detektion zwischen bereits bekannten und unbekannten UAE differenziert. Darüber hinaus wird ein Data Mining Verfahren angewendet, um auf Basis einer großen Anzahl an EPA potenzielle UAE zu identifizieren. Alle Detektionsmethoden können hinsichtlich zahlreicher Parameter konfiguriert und somit an unterschiedliche klinische Umgebungen individuell angepasst werden. Die Präsentation von UAE Verdachtsfällen wird durch eine responsive Webanwendung realisiert, die bspw. auf mobilen Endgeräten während einer ärztlichen Visite im Krankenhaus eingesetzt werden könnte.
 
Eine signifikante Limitation der UAE Detektion besteht darin, dass EPA in der Regel auf eine Gesundheitseinrichtung beschränkt sind und nicht den vollständigen Medikationsverlauf eines Patienten enthalten können. Knapp ein Drittel aller verkehrsfähigen Medikamente sind freiverkäuflich und werden somit nicht in den EPA dokumentiert. Auch wenn Datenanalysen auf übergreifenden, lebenslangen Patientenakten Versorgungsforschung erleichtern würde, weist diese Arbeit durch die Erschöpfung des Potenzials der heutigen, fragmentierten EPA Landschaft den Weg in die richtige Richtung.

s.auch GMDS-Vortrag